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Dennis Riehle

Standpunkt: Risiken und Grenzen von therapeutischen und begleitenden Online-Angeboten

Immer beliebter werden auch in der Bundesrepublik Therapie- und Beratungsgebote, die online abgewickelt und somit einfach und unkompliziert in Anspruch genommen werden können. Immer mehr Studien beschäftigen sich mit Wirkung und Nebenwirkung solcher Alternativen zum gewöhnlichen Gang zum Psychotherapeuten und ermitteln, wie durch derartige Optionen Patienten, die ansonsten keinerlei Hilfe in Anspruch nehmen würden, Unterstützung erfahren.

Doch abgesehen davon, dass eine „Therapie“ in Deutschland auf dem digitalen Weg in der Form einer gewöhnlichen Psychotherapie rechtlich gesehen noch gar keine klaren Regelungen besitzt und auch von den meisten Berufskammern mit großer Skepsis gesehen wird, birgt sie eine Vielzahl an Grenzen und Risiken, die nicht verschwiegen werden dürfen.

Bei aller Begeisterung darüber, dass Therapie auch über den Bildschirm möglich werden könnte und sich gerade Patienten mit sozialen Defiziten, Zwängen oder Ängsten und Scham, aber auch bei Depressionen von solch einer Methode begeister lassen würden, kann eine virtuelle Psychotherapie nie den direkten Kontakt zu einer Fachperson ersetzen. Die Online-Beratung, in der es hauptsächlich um Hilfestellung für gesunde Menschen geht, die mit Alltagsproblemen oder Lebenskrisen und ihrer Bewältigung Schwierigkeiten erfahren, und in vielen Ländern (auch bei uns) gängig ist und viele Anbieter kennt, darf nicht als Vergleichsgrundlage herangezogen werden. Auch wenn virtuelle Beratung ebenso für als anregende und orientierende Stütze, zum Austausch eigener Erfahrungen wie in der Selbsthilfe oder zur reinen Informationsübermittlung für Betroffene dienen kann, sind die Unterschiede zum therapeutischen Behandeln meilengroß.
 
Die strikte Unterscheidung zwischen Therapie und Beratung, zwischen pathologisch relevanter Erkrankung und üblichem, situationsangemessenem Seelentief, macht nicht nur in Sachen Haftung und Verantwortung deutlich: Chronisch psychische Krankheiten, Diagnosestellungen oder Notfälle lassen sich weder per Web-Cam, noch per Chat oder Forum in ausreichender und würdigender Weise „behandeln“.

Wer – wie in einigen Beiträgen richtig beschrieben – eine begleitende oder an eine stationäre Therapie anschließende Beratung auf dem digitalen Weg in Anspruch nimmt, kann sicher profitieren. Denn zu beachten gilt: Zwar sind Ratschläge, Tipps oder Verhaltensanweisungen und –regeln auch über das Netz austauschbar, für eine umfassende therapeutische Einschätzung, beginnend von Anamnese bis hin zur Klassifikation von Erkrankungen und Auswahl der Behandlungswege und Begleitung des Therapieprozesses ist der Gesamteindruck eines Patienten in realem, vier Augen-Kontakt unausweichlich. Mimik, Gestik, Haltung und Emotionen lassen sich nur dann unverzerrt wahrnehmen, wenn sie direkt im Gegenüber geäußert werden.

Ein Eingreifen, ein Lenken, ein Reagieren, das, was Psychotherapie unabhängig von der Zielgruppe elementar von psychologischen Beratungen unterscheidet, kann weder zeitnah, noch sicherstellend in der digitalen Welt geleistet werden. Auch für Therapeuten ist es ein persönliches Risiko, aber auch eine Einschränkung ihrer Handlungskompetenzen, wenn ihnen um die Hilflosigkeit im lediglich distanzierten, über Kabel und Leitung verbundenen Klientenkontakt bewusst wird. Und auch die Unsicherheit, die ein Patient verspüren muss, wenn er nur auf das vertrauen darf, was beim kleinsten Stromausfall oder Server-Problem schon unterbrochen sein kann, macht in mir große Skepsis und Sorge breit. 

Es ist sicher nichts einzuwenden, wenn virtuell beraten wird, wenn Erfahrungen ausgetauscht oder Denkanstöße weitergegeben werden. Das soziale Agieren, die Interaktion zwischen Therapeut und Patient, die Exposition und Konfrontation lässt sich aber nicht ersetzen. Unabhängig davon bleibt es eine Übung und ein hinreichender Bestandteil der Therapie, auch die gewohnte Umgebung zu verlassen, aus Strukturen und gegen eventuelle Phobien expositorisch anzugehen.
Die Grenzen von Online-Therapie überwiegen heute noch immer den vielen Vorteilen und Chancen, die ein außerhalb der Netzwelt bestehendes Psychotherapie-Angebot eröffnen kann. Wer es ernst damit meint, sich mit sich auseinander setzen zu wollen, aktiv an der eigenen Situation etwas zu verändern und den Schritt zurück in das wirkliche Leben schaffen will, kommt nicht darum herum, Online-Beratung als lediglich komplettierenden Baustein einer umfassenden psychotherapeutischen Betreuung zu sehen.   

Nicht nur Therapie und Beratung schlagen heute den Weg in die digitale Welt ein – auch die Selbsthilfe passt sich dem Trend, den gerade junge Menschen über soziale Netzwerke und die Foren sowie Chats der Selbsthilfeorganisationen nutzen, in vielfacher Hinsicht an. Es scheint kaum anders möglich, Jugendliche zu begeistern, als sie dort abzuholen, wo sie die meiste Zeit ihres Lebens verbringen. Wenngleich wir parallel die Zahl der Selbsthilfegruppen, die sich Computer-, Medien- und Intersucht widmen in die Höhe steigt, haben die meisten Verantwortlichen in der Selbsthilfe erkannt, dass das Netz riesiges Potenzial bietet, auf sich aufmerksam zu machen.

Bundesweit gibt es eigene Internetseiten, die junge Menschen auf Selbsthilfe ansprechen – und damit exakt das Medium nutzen, worin sich die Jugendlichen heute über ihre Sorgen, Nöte, soziale Probleme oder auch Krankheiten austauschen. Daher ist es sicherlich falsch, als Selbsthilfegruppen in der realen Welt die Abschottung zum Digitalen zu leben. Junge Menschen wachsen in einem anderen Umfeld auf, setzen auf die Anonymität und die Einfachheit des Webs, um Selbsthilfe zu reformieren.

Es nutzt nichts, sich arrogant oder gar feindlich von den Selbsthilfe-Angeboten in der Online-Welt abzukapseln. Viel mehr bleibt den Gruppen vor Ort im Alltag des Nicht-Virtuellen die Chance, eine Ergänzung zu schaffen und junge Menschen nicht aus der digitalen Selbsthilfe wegzulocken oder sie gar zu verurteilen – sondern sie im Sinne der Argumentation zu „Online“-Beratung geschmackvoll auf das hinzuweisen, was Selbsthilfegruppen mit echten Menschen an Vorteilen bieten und womit sie den bloßen und monotonen Austausch im WWW bereichern können:

Eine Selbsthilfegruppe im Realen drängt mich zum Verlassen meiner vier Wände, ich komme weg vom Bildschirm und von einer Welt, die so unwirklich und auf das Zweidimensionale beschränkt scheint. Ich bin angehalten, mich meinen Ängsten, meinen Zwängen und meiner inneren Hoffnungslosigkeit entgegen zu stellen. Ich bekomme die Chance, mich in geschütztem Raum der Wirklichkeit zu stellen, von der es mir eigentlich graut. Das Konfrontieren mit dem sozialen Umfeld, das ich eigentlich meiden will, bringt mir endlich mal wieder neue Perspektiven fernab von „Maus“ und „Blog“ – und das nicht per „Flooding“, sondern zunächst in einem Rahmen, der mir Verständnis entgegenbringt und manch merkwürdige Verhaltensweise aus eigener Erfahrung zu kennen scheint.

Ich schätze in einer Selbsthilfegruppe die Gestik, die Emotionen und die Mimik wirklicher Personen, mit denen ich mich beschäftigen, Rückfragen ohne Verzögerung stellen und beantwortet bekommen kann. Die Gelegenheit zu Freundschaften, die nicht durch einen „Klick“ entstanden sind, und soziale Kontakte im wirklichen Leben zu finden, das macht das gute Gefühl des Angenommenseins aus. Wenn ich nicht nur über Probleme reden kann, sondern mit „Gleichgesinnten“ zusammen Freizeit verbringen darf, Sorgen nicht lange umschreiben muss, sondern direkt und ohne viele Smileys verständlich machen kann, dann weiß ich, dass ich verstanden werde. Und wenn ich mich schlussendlich auf einen Rat stütze, von dem ich weiß, er kommt bestimmt nicht von einem „Hacker“ oder „Trittbrettfahrer“, sondern von jemanden, der wirklich Ahnung von dem hat, wovon er spricht, dann mag ich doch dankbar sein, dass es neben dem weltweiten Netz auch noch die Menschlichkeit gibt.



Dennis Riehle, Selbsthilfegruppenleiter, Martin-Schleyer-Str. 27 – 78465 Konstanz         selbsthilfearbeit@riehle-dennis.de
 



 






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