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Cornelia Schenk

Logotherapie bei psychischen Störungen

Eine 48 jährige Frau kommt zu mir. Sie hat Angst an Krebs zu erkranken wie ihre Tante, zudem kreisen ihre Gedanken immer wieder um eine unproblematisch verlaufene Gebärmutteroperation, die schon zwei Jahre zurückliegt. Sie kann sich mit diesem Verlust nicht abfinden. Wohlgemerkt die Klientin hat vier Kinder und ihre Familienplanung ist abgeschlossen. Sie hat ein intaktes Familienleben, keine materiellen Sorgen und einen verständnisvollen Ehemann. Doch sie ist unzufrieden mit ihrer Situation, weiß nicht so recht, was sie will, fühlt sich unverstanden, hat auch aus vielen Psychotherapien psychologische Deutungsmuster für ihren Zustand parat.

Hier haben Sie die typischen Zutaten, die sich zu einer psychische Störung auswachsen können. Eine ungesunde Hyperreflexion, das heißt ein ewiges sorgenvolles Kreisen um das eigene Wohlbefinden, ein sich Hineinsteigern in Zukunftsängste (nur das schlimmste wird erwartet), ein Hängenbleiben an vergangenen Ereignissen (nur an den negativen, an den Verlusten), verbunden mit wenig Selbstwertgefühl. Kurz, wenn ich bei unserem Herzsymbol bleibe, dann ist das Herz verstrickt in vielfältigen psychischen Ängstlichkeiten, es ruht nicht in sich, sondern ist aus dem Takt geraten.

Gegen das gedankliche Kreisen und Hängen Bleiben an den psychischen Stolperstellen empfiehlt die Logotherapie die Methode der Dereflexion. Die Patientin soll von ihrem Gedankenkarussell heruntergeholt werden, dass sich Runde um Runde um Vergangenheit und Zukunft dreht. Ihr Blick soll hingelenkt werden auf den Freiraum in der Gegenwart. Es geht um einen Perspektivenwechsel. Nicht das, wovor man sich fürchtet, was nicht mehr zu ändern ist, wird in der Beratung thematisiert, sondern der Blick wird auf neue Sinnmöglichkeiten ausgerichtet.

Jetzt, wo die Kinder das Haus verlassen, der Mann beruflich viel abwesend ist, was will die Patientin mit ihrer Zeit Sinnvolles anfangen? Es ist nicht immer leicht, nach einer Phase alt vertrauter Gewohnheiten und Abläufe, Neues anzufangen, überhaupt zu erkennen, worin denn die neue Aufgabe bestehen könnte? Oft muss die Sinnwahrnehmung erst wieder trainiert werden, damit man den exklusiv auf einen zugeschnittenen Sinn, der bereits in der Außenwelt verborgen auf einen wartet, verwirklicht.

Es ist nicht die Aufgabe des Menschen ängstlich auf sein Wohlbefinden zu starren, über seine Gesundheit zu brüten, über das, was ihn verletzt und kränkt, sondern es macht den Menschen zum Menschen, hebt ihn über seinen Egozentrik, wenn er hingegeben an ein Aufgabe oder an ein Du, sich selbst vergisst. Der Mensch als geistige Person ist schöpferisch, er will gestalten, Sinnvolles leisten. Als weltoffenes Wesen findet er eine Aufgabe, die auf ihn wartet und die seiner Lebenssituation, seinen Neigungen und Fähigkeiten entspricht. Diese Aufgabe zu finden, erkennen, dass das Leben etwas mir Aufgegebenes ist, kann das Leben wieder spannend machen.

Die Patientin versteht: Das Leben meint und braucht mich und ich will in dieser Welt meinen Teil dazu beitragen. Ein erster Schritt soll sein für eine internationale Hilfsorganisation tätig zu werden. Und die verlorene Gebärmutter? Geschenkt! Die Angst vor dem Krebs? Niemand kann mir versprechen, dass ich gesund bleibe. Aber jetzt habe ich keine Zeit darüber nachzudenken und auf einmal langweilt es mich, meine Zeit mit nutzlosen Sorgen zu verschwenden. Ich muss noch so viel Papierkram ausfüllen, mich um Versicherungsfragen kümmern und die Spanischvokabeln müssen auch sitzen usw. Warum wird es der Patientin offensichtlich leichter ums Herz, warum wird sie mutiger, unternehmungslustiger und zupackender? Es liegt daran, dass sie in ihrem Leben wieder einen Sinn gefunden hat, dessen Verwirklichung ihr wichtiger erscheint als ihre Sorgen.

Es zeichnet den Menschen als geistige Person aus, dass er angezogen wird von Werten und dass diese Anziehungskraft stärker sein kann als seine Triebkräfte der Ängste Zwänge, Sorgen, Zweifel, des Pessimismus oder des Unwohlfühlens. Hinter allen seelischen Konflikten und Neurosen steht immer die menschlichste aller Fragen, die Sinnfrage: Was will ich mit meinem Leben anfangen, wie soll ich mein Leben gestalten, hat mein Leben, haben meine Anstrengungen überhaupt einen Wert, was ist mein Leben wert, wenn es Leid und Tod bereithält? Wenn der Mensch unter psychischen und /oder auch körperlichen Störungen leidet, dann fragt sich die Logotherapie, ob hinter diesen Leiden eine geistige Not, ein existenzielles Vakuum aufblitzt. So wie bei meiner Klientin: als Mutter wurde sie nicht mehr so intensiv gebraucht. Nicht nur das Haus leerte sich, auch das Herz der Patientin wurde leer. Und genau in dieses Vakuum, in diese Sinnleere wuchern ängstliche Gedanken, Krisenstimmungen, Kränkungen, Krankheiten wie Unkraut.

Freud hat übrigens interessanterweise gesagt: "ich habe mich immer nur im Souterrain und im Parterre des Gebäudes aufgehalten." Als Logotherapeutin ist es mir ein Anliegen den Patienten aufs Dach zu locken, zu vermitteln wie viel Freude es machen kann, aufs Dach zu klettern. Die Wahl liegt ganz bei uns: Klettern oder nicht, sitzen auf der hellen Dachterrasse oder im finsteren Keller frieren. Zugegeben der Preis ist die Überwindung der Höhenangst und des Schwindels. Und das ist nicht unbedingt ein harmloser Sonntagsspaziergang, aber es ist eben auch nicht menschenunmöglich.

Menschsein ist immer entscheidendes Sein. Es macht unsere persönliche Existenz aus, dass wir die Freiheit haben, uns für oder gegen etwas zu entscheiden. Es macht die Würde unserer Existenz aus, Verantwortung für unsere Entscheidungen zu übernehmen und nicht das Leben und die anderen zu Sündenböcken zu machen. Es macht unsere Existenz lebenswert und spannend, wenn wir das von uns Gewollte, also unsere Herzenswünsche zusammenzubringen mit dem Gesollten, also mit den vorgegebenen Lebensumständen, denen wir uns fügen müssen. Unser Leben wird harmonisch und heil, wenn wir das Gewollte mit dem Gesollten, also Innen und Außen zu verbinden wissen. Daraus entwickelt sich ein Leben in Kohärenz, im Einklang bis hin zum Schlag des Herzens. Das nenne ich einen Brückenschlag der Versöhnung. Und wenn Sie Zweifel haben, dass Ihnen Ihr Leben auf diese Weise gelingt, dann gibt die Logotherapie zur Antwort: Vertrauen Sie dieser unbändigen Schöpferkraft in Ihnen.

Der Wille zur sinnvollen Lebensgestaltung, zur sinnvollen Selbstgestaltung bewegt uns, mit dem Herzen Entschlüsse zu fassen, Ziele anzuvisieren und sie dann mit dem Verstand in die Tat umzusetzen. Mit Herz und Verstand, so heißt es doch? Menschen in Not kommen nicht zu mir und sagen, ich bin existenziell frustriert. Nein sie sagen: ich will mehr Spaß in meinem Leben haben. Ich will wieder ohne Albträume schlafen können. Ich will, dass sich mein Mann mehr um mich kümmert. Ich will gesund werden. Ich will nicht immer allein sein. Ich will wieder geliebt werden. Ja das alles sind Herzenswünsche und wir alle hoffen, wenn sich unsere Wünsche erfüllen, wenn uns der Therapeut eine Gebrauchsanweisung liefert, dann ist das traurige Angst beladene Herz geheilt. Dann muss der Therapeut gut hinhören können.

Denn unter all den Schichten psychischer Bedürfnisse verbirgt sich oftmals eine Frustration des Willens zum Sinn und dann versuchen sich Menschen zu behelfen mit dem Willen zur Lust und dem Willen zur Macht. Mit beidem können wir unserem Herzen schmeicheln, unser Ego streicheln und so wird das unruhige Herz eine Weile besänftigt sein. Dafür noch ein Beispiel.

Ich hatte ein Gespräch mit einem Manager. Jahreseinkommen eine Viertel Million Euro, vor der Tür einen Porsche, eine nette Familie und eine Wohnung mit toller Aussicht. So jemand müsste ein glückliches Herz haben. Doch in seinem Herzen fühlte er eine kaum erträgliche Leere. Er hat kein Herz, sagte sein Frau von ihm. Er hoffte, seine Leere durch noch mehr Macht aufzubrechen und nahm eine weitere Sprosse auf der Karriereleiter in Angriff. Es war ihm egal, dass er dafür seine Familie entwurzelte, weil der neue Arbeitsbereich 400 km entfernt lag. Der neue Job aber bestand darin, möglichst viele Mitarbeiter zu entlassen. Als er bemerkte, dass ihn seine Vorgesetzten für die Drecksarbeit benutzten und er diese Skrupellosigkeit, die man von ihm erwartete, nicht besaß, begann sein Herz zu streiken, reagierte mit Herzrasen und sozialer Isolation.

Lange dachte er, nur keine Angst und Schwäche zeigen, bis, wie er sich ausdrückte, in mir etwas zerriss. Mir kam ein Märchen von Wilhelm Hauff in den Sinn. Bezeichnenderweise heißt es "Das kalte Herz". Ein junger Mann verkauft seine Seele dem Teufel und bezahlt mit einem unempfindlich gewordenen Herzen. Ein bekanntes Märchenmotiv. Und doch so unglaublich realistisch. Das Warme, Lebensspendende und Lebendige in uns, der Mensch verkauft es schnell für Macht und Lust Doch statt des erhofften Wohlgefühls bekommt er ein kaltes Herz zurück. Wärmt der Porsche vor der Tür das Herz? Und doch fallen wir immer wieder auf den Willen zur Macht und zur Lust herein und verraten unser Herz.

Ein Herz zerbricht, wenn es schon so starr geworden ist, dass es das Aufleuchten seiner persönlichen Sinnfrage nicht mehr wahrnehmen will oder kann. Aber der Manager erkannte die Zeichen: Er gestand sich ein, dass er gegen sich arbeitete, dass es für ihn nicht sinnvoll ist, diesen Job weiterzumachen und er begann sich in seiner größten Not ehrlich zu fragen: Was will ich wirklich, was kommt von Herzen? Und damit beginnt jede Sinnsuche, beginnt der Anfang jeder Heilung. Und hier möchte ich auch noch erwähnen, dass das Beispiel des Managers die folgende Aussage Frankls nachdrücklich bestätigt: Niemals darf man äußere Lebensgestaltung mit innerer Lebenserfüllung verwechseln. Reichtum und Erfolg können sich mit innerer Verzweiflung paaren. Und im Leiden kann sich noch tiefe Sinnerfüllung vollziehen.

Selbst wenn man im Außen nichts mehr zu gestalten vermag, was von den Mitmenschen gern als Misserfolg, als Scheitern und Unglück angesehen wird, kann man durch innere Leidbewältigung, durch den Erwerb von Leidensfähigkeit, einen Akt der Selbstgestaltung vollziehen. Das ist mir wichtig, an Sie weiterzugeben: Urteilen wir nicht vorschnell nach den üblichen Erfolgskriterien. Urteilen wir vorsichtig, besser überhaupt nicht. Machen wir uns lieber bewusst, dass jede psychosomatische Krise zum Sprungbrett neuer Sinnerfahrungen werden kann.

In der Logotherapie wird auf den gescheiterten Menschen nicht mit dem Finger gezeigt, er ist kein Aussätziger im Club der Tüchtigen. Nein, für die Logotherapie ist er derjenige, der kraft seiner geistigen Einstellung noch im Scheitern einen Sinn entdecken kann. Und das befähigt ihn, sein Schicksal zu gestalten. Das macht ihn zum Sieger. Nur wer sein Schicksal für besiegelt hält, ist außerstande es zu besiegen, bemerkt Frankl und Hölderlin sagt: wer auf sein Leid steigt, der steigt höher. Im Grunde wollen wir Menschen nur glücklich sein. Das ist gut, wir Menschen haben sogar die Pflicht, glücklich zu sein. Aber wir müssen wissen, wie es geht. Die Logotherapie sagt, wenn wir das Sinnvolle in unserem Leben erkennen und anstreben, dann entsteht Glück. Das Glück auf direktem Weg erzwingen zu wollen, führt eben oft in die Sinnkrise mit körperlichen und seelischen Leiden.




Autor des Artikels und inhaltlich verantwortlich:
Cornelia Schenk

Datum des Eintrags: 26.05.11  

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