Isabella Uhlmann
Imaginationstherapie bei posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS)
Trauma bedeutet auf griechisch "verletzt, Wunde, Niederlage" und wird vom Verb "troein", durchbohren, verdrängen, und aus „terein“, reiben, ängstigen, quälen und aufreiben, abgeleitet.
Wie entsteht ein Trauma?
Wichtig: Nicht jedes traumatische Erlebnis führt zu einer Traumatisierung! Eine Traumatisierung entsteht durch ein Ereignis, welches den Betroffenen so überfordert, dass er mit normalen und bisher gelernten Bewältigungsstrategien dieses Ereignis nicht bewältigen kann. Der Körper wird durch besagtes Ereignis in einen Alarmzustand versetzt. In Bruchteilen von Sekunden erfolgen Reaktionen, welche den Körper auf Kampf oder Flucht vorbereiten. Dazu werden Hormone ausgeschüttet, das autonome Nervensystem wird aktiviert was die
Beschleunigung von Atmung und Herzfrequenz, Ausbruch von kaltem Schweiss usw. zur Folge hat.
Kann der Betroffene weder kämpfen noch fliehen, tritt der sogenannte "Totstellreflex" (Tonic Immobility) ein – der Betroffene erstarrt. Diese Erstarrungssituation kann mit einer veränderten Wahrnehmung der Realität
einhergehen: Der Betroffene spürt keine Schmerz und keine Angst.
Traumatische Erfahrungen hinterlassen in der Seele Wunden, welche meist sehr viel schwerer verheilen als körperliche Wunden. Bei Menschen mit traumatischen Erfahrungen hat man das Gefühl, dass ihre Seele mehrfach zerrissen sei. Sie leben mit vollkommen entgegengesetzten Gefühlen und Gedanken, sind von Erinnerungen überflutet und doch ohne Erinnerungen etc.
Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
Von einer PTBS (posttraumatische Belastungsstörung) spricht man dann, wenn der Körper des Betroffenen im Zustand der chronischen ANS-Aktivierung (ANS = autonomes Nervensystem) bleibt. Das kann zu körperlichen Symptomen, Angst- Panik- und Erschöpfungszuständen führen. Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Muskelsteifheit – oder Schmerzen können ebenfalls Folgen sein.
Babette Rothschild schreibt: "Es handelt sich hier um einen Teufelskreis, dessen ursprünglicher Zweck war, das Überleben zu sichern, der die Betroffenen jedoch nach dem Ende der realen Bedrohung weiterhin peinigt. Während eines traumatischen Ereignisses bereitet das Gehirn den Körper auf eine Bedrohung vor. Bei PTBS wiederholt das Gehirn seine Warnung ständig und regt das ANS permanent an, sich auf die Abwehrreaktionen des Kämpfens, Fliehens oder Erstarrens vorzubereiten."
Mögliche Symptome der BTBS können sein:
- Ständige, wiederkehrende und ungewollte Bilder/Erinnerungen, Sinneseindrücke, Körperempfindungen, (sogenannte Flashbacks) Alpträume etc. Diese Erinnerungen treten unmittelbar auf, sind häufig unvollständig.
- Nervliche und körperliche Übererregbarkeit, Angstzustände, Schlafstörungen, Reizbarkeit, übermässiges Kontrollbedürfnis, Schreckhaftigkeit, vegetative Störungen etc.
- Vermeidungsverhalten: der Betroffene meidet Orte, Menschen und Situationen, welche Erinnerungen an das belastende Ereignis auslösen könnten. Dieses Verhalten führt oft zu sozialem Rückzug.
- Veränderte Affektregulation: Die Betroffenen haben Schwierigkeiten ihre Gefühle wahrzunehmen und diese angemessen zum Ausdruck zu bringen. Die mangelnde Steuerungsfähigkeit dieser Affekte kann zu selbstschädigendem Verhalten, impulsiven und starken Stimmungsschwankungen führen.
- Bedeutungssysteme können sich verändern: bisherige Lebensüberzeugungen, Weltbilder brechen zusammen. Das äussert sich durch Gefühle von Hoffnungslosigkeit Verzweiflung, Freudlosigkeit und Leere bis hin zur Depression.
- Körperliche Beschwerden, Schmerzstörungen etc.
- Und eine Vielzahl von anderen Symptomen ...
Was geschieht im Körper bei einer Traumatisierung?
Normale, also nicht bedrohliche oder als gefährlich eingestufte Erfahrungen, werden über das Grosshirn bewertet und entschlüsselt. Das ermöglicht uns, daraus adäquate Handlungen abzuleiten. Diese Erfahrungen werden im deklarativen Gedächtnis abgespeichert, so dass wir uns daran erinnern können. Bei Gefahr ist es anders: auf den als gefährlich eingestuften Reiz muss zum Zweck des Überlebens sehr schnell reagiert werden.
Eine wichtige Rolle spielt dabei das sogenannte limbische System, die Überlebenszentrale des Körpers. Das limbische System steuert u.a. Verhaltensweisen und ist für die Sicherung des Überlebens zuständig. Zwei Bereiche des limbischen Systems - Amygdala und Hippokampus - spielen dabei eine zentrale Rolle.
Die Amygdala ist gewissermassen der Feuermelder. Sie ist zuständig für die Verarbeitung von Emotionen und Erinnerungen mit starken Affekten und unterscheidet wichtige von unwichtigen Sinneseindrücken. Der Hippokampus ist zuständig für die Abspeicherung einfacher Erinnerungen und er kategorisiert die Erfahrungen ähnlich einer Skizze: Erlebnisse können zeitlich und räumlich zugeordnet werden, das Erlebte kann in den Kontext der persönlichen Geschichte eingegliedert werden.
Bei Gefahr schlägt die Amygdala „Grossalarm“. Über eine Schnellverbindung zum Hypothalamus veranlasst sie eine massive Ausschüttung von Stresshormonen. Diese ermöglichen dem Körper augenblicklich zu kämpfen oder zu fliehen.
Können die Reflexe - Kampf oder Flucht - nicht ausgeführt werden, bedeutet das, dass die ausgeschütteten Stresshormone nicht abgebaut werden können. Während eines traumatischen Ereignisses leitet die Amygdala die erlebten Emotionen wie Angst und Entsetzen vor allem in die rechte Hirnhälfte weiter. Dort werden sie in Hirnregionen gespeichert, welche dem bewussten Denken schwer oder gar nicht zugänglich sind - das Erlebte kann nicht in die Lebensgeschichte integriert werden. Das kann dazu führen, dass der Betroffene zukünftig durch äussere Stimuli, sogenannte Trigger (Auslöser) diese Affekte immer wieder erlebt, so, als würden sie gerade in diesem Augenblick geschehen. Es sind sogenannte Flashbacks (Wiedererleben des Traumas), Zusammenhänge über das traumatische Geschehen fehlen.
In massiven Stresssituationen wird die Verbindung von der Amygdala zum Hippokampus zugunsten lebensrettender Mechanismen umgangen, die Aktivität des Hippokampus ist wegen einer längeren Kortisolausschüttung unterdrückt. Das traumatische Erlebnis wird häufig in einzelne Fragmente aufgespaltet, der Betroffene „steigt aus dem Erlebten aus“, er spaltet Gefühle und Empfindungen der traumatisierenden Situation ab, er ist wie geistesabwesend. Deswegen kann sich der Betroffene nicht vollständig und abgeschlossen an das traumatische Ereignis erinnern; es kann bis zur Amnesie führen.
Wie kann ein Trauma verarbeitet werden?
Die Trauma-Arbeit beinhaltet drei Phasen:
Stabilisierung – Konfrontation – Integration, Trauerarbeit, Neubeginn.
Die Stabilisierungsphase ist die wichtigste Phase und nimmt am meisten Raum ein. In der Stabilisierungsphase geht es zunächst darum, innere und äussere Ressourcen (wieder) zu entdecken, zu aktivieren und zu stärken. Ressourcen sind Kraftquellen und sind wichtig, um Gegenbilder und Gegengewichte zu den Schreckensbildern aufzubauen. Ressourcen können Hobbys, Fähigkeiten, Talente, Familie, Beruf, Sozialkontakte und vieles mehr sein.
Die Stabilisierungsphase beinhaltet auch das erlernen von Distanzierungs- und Kontrolltechniken. Dazu arbeitet man unter anderem mit Imaginationsübungen wie z.B. Tresorübung, arbeiten mit den Inneren Helfern, der innere sichere Ort, Bildschirmtechnik, arbeiten mit dem inneren Kind usw., um Distanz zum Trauma aufzubauen. Arbeiten mit Imaginationen ist eine wirkungsvolle Möglichkeit: Vorstellungen verändern das Gehirn, positive Vorstellungen helfen dem Betroffenen, sich von den Schreckensbildern zu distanzieren, Selbstheilungskräfte können aktiviert werden. Der Betroffene lernt sich einen sicheren Raum zu schaffen, einen äusseren wie einen inneren. Ein wichtiger Aspekt, der zu dieser Sicherheit beiträgt, ist der Aufbau einer tragfähigen und vertrauensvollen therapeutischen Beziehung. Luise Reddemann schreibt: "Wenn wir Patienten dabei unterstützen, auf die Stimme ihrer inneren Weisheit zu hören, unterstützen wir ihre Selbstheilungskräfte und das freie Fließen dieser oft verschütteten Ressourcen." Zur Stabilisationsphase gehört es auch, mit dem Betroffenen Möglichkeiten für Krisen und Notfälle zu erarbeiten. Wohin kann er sich in einer Notfallsituation wenden, was kann er in so einer Situation für sich selbst tun, welche Möglichkeiten hat er?
Die wichtigste Voraussetzung für die Traumakonfrontation sind stabile Lebensumstände, äussere Sicherheit die Fähigkeit der Affektkontrolle und Selbstberuhigung. Der Betroffene sollte einigermassen in der Lage sein, belastende Gefühle aushalten und steuern zu können ohne zu dissoziieren. In den meisten Fällen ist es jedoch nicht notwendig, ein Trauma noch einmal zu durchleben.
In der Integrationsphase wird das Erlebte in die eigene Lebensgeschichte integriert. Sinnfragen werden geklärt, neue Lebensperspektiven werden entwickelt.
Die Traumaarbeit ist ein zyklischer Prozess, die verschiedenen Phasen werden nicht nacheinander durchlaufen.
Folgende Behandlungsziele sollten im Vordergrund stehen:
- Aufklärung über innerpsychische Vorgänge und Zusammenhänge
- Erarbeiten von Ressourcen – Wiederfinden und Stärkung eigener Fähigkeiten – sich schützen, distanzieren und selbst beruhigen können – (wieder) Vertrauen zu sich – und anderen – zu entwickeln
- die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung und besserer Affektkontrolle anzuregen
- die Förderung ihrer Autonomie
- ihre Lebensqualität zu verbessern
Achten sie darauf, dass die Beziehungsebene zwischen ihnen und ihrem Therapeuten stimmt. Sie sollten sich sicher, verstanden, angenommen und ernst genommen fühlen. Wenn die "Chemie" zwischen ihnen stimmt, kann ein gemeinsames Vorgehen von realistischen und realisierbaren Therapiezielen festgelegt werden.
Empfehlenswerte Literatur:
Trauma
Dr. med. Luise Reddemann – Dr. med. Cornelia Dehner
Rau Trias – Verlag Stuttgart
Imagination als heilsame Kraft
Dr. med. Luise Reddemann
Pfeiffer bei Klett-Cotta, Stuttgart
Wie aus Stress Gefühle werden
Gerald Hüther
Vandenhoeck & Ruprecht
Der Körper erinnert sich
Babette Rothschild
Synthesis Verlag
Autor des Artikels und inhaltlich verantwortlich: Isabella Uhlmann
Datum des Eintrags: 09.03.10
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