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Katharina Neubacher

Die frühkindliche Bindung


„Nur wenn der Geist das Oberflächliche und das Verborgene versteht, kann er über seine eigene Begrenztheit hinausgelangen und jene Glückseligkeit entdecken, die nicht an die Zeit gebunden ist.“
(Krishnamurti, Vollkommene Freiheit)


1.Was ist Bindung?

Der sozialpsychologische Begriff der Bindung (englisch: bonding/attachment) bezeichnet ein genetisch vorgeprägtes Verhalten von Primatenkindern (insbesondere Menschen), das auf die Hinwendung zu älteren Artgenossen (insbesondere die Mutter) gerichtet ist. Die Kinder erhoffen sich in der Regel von den Eltern Schutz und Versorgung.

Die Bindungstheorie beschreibt in der Psychologie das Bedürfnis des Menschen, eine enge und von intensiven Gefühlen geprägte Beziehung zu Mitmenschen aufzubauen. Entwickelt wurde diese Theorie von dem britischen Kinderpsychiater John Bowlby und der kanadischen Psychologin Mary Ainsworth.

Inhalt dieser Theorie ist der Aufbau und die Veränderung enger Beziehungen im Laufe des Lebens. Sie geht vom Modell der Bindung der frühen Mutter-Kind-Beziehung aus.

1.1 Bonding

Bonding nennt man die erste intensive Kontaktaufnahme zwischen Mutter-Kind-Vater.  Es sind die ersten unbeschreiblichen Augenblicke nach der Geburt, wenn die Eltern ihr Kind in die Arme nehmen. Diese sind von ganz starken Empfindungen geprägt, so dass Eltern sie ein Leben lang nicht vergessen werden.

Das erste Befühlen, Riechen, Schmecken, Sehen und Hören nach der Geburt fördert die soziale Bindung. In diesen ersten innigen Momenten wird das menschliche Urvertrauen geprägt und bilden die Grundlage, Liebe und Zuneigung stetig wachsen zu lassen.

Das größte Sinnesorgan des Menschen ist die Haut, deshalb ist es auch so bedeutsam, dass das Neugeborene sofort nach der Geburt engen Hautkontakt zu seinen Eltern hat. Daher sollten das Neugeborene und die Eltern in den ersten 1 – 2 Stunden dieser Kennen- Lernphase auch nicht getrennt oder gestört werden.


2. Bindung Warum?

Menschen sind sozial ausgerichtete Wesen. Schon der Fötus verfügt über die gleiche Anzahl von Neuronen (100 Milliarden) im Gehirn wie ein Erwachsener, allerdings wird ein Großteil noch vor der Geburt wieder abgebaut. Um das Potential dieser Neurone wirklich zu nutzen, müssen sich diese erst vernetzen (Synapsen bilden), was durch „Input“, möglichst über alle Sinneskanäle, geschieht. Mit einer ausschließlichen Versorgung im Sinne von Füttern und Wickeln des Säuglings ist es daher nicht getan. Wie sich schon in diversen grausamen Experimenten mit Waisenkindern in den vergangenen Jahrhunderten gezeigt hat, starben die Kinder, die nur „versorgt“ wurden und keinerlei weitere Ansprache, Fürsorge oder gar liebevolle Zuneigung erhielten. Eine sichere, liebevolle Umgebung ist daher für das Wohlgedeihen eines Kindes unerlässlich.


3. Bindungstypen


Im Falle einer sich positiv entwickelnden Beziehung zwischen Säugling und Eltern beginnt mit ca. 6 Monaten die Bindung an die primären Bezugspersonen. Durch massive Entwicklungen im Gehirn im Bereich des Stirnlappens können Kinder zwischen fremd und vertraut unterscheiden, wobei „fremd“ für sie als unangenehmer Zustand erlebt wird.

In neueren Untersuchungen wurde festgestellt, dass die Eltern-Kind Beziehung auch durch eine zeitlich begrenzte außerfamiliäre Betreuung nicht gestört wird.

Bowlby und Ainsworth unterscheiden verschiedene Phasen der Bindung, deren Auswirkungen bei einer Störung unterschiedlich sind. Es wurden Kinder im Alter von 12 – 18 Monaten getestet:

  • Sichere Bindung: „Idealfall“
    Solche Kinder können Nähe und Distanz der Bezugsperson angemessen regulieren.
    Verhalten in der Testsituation
    Sie sind kurzfristig irritiert und weinen ggf., wenn die Bezugsperson den Raum verlässt, lassen sich jedoch von der Testerin trösten und beruhigen sich schnell wieder; sie spielen im Raum auch mit der Testerin; laufen der Bezugsperson bei deren Wiederkehr entgegen und begrüßen diese freudig.
  • Unsicher vermeidende Bindung
    Die Kinder zeigen eine Pseudounabhängigkeit von der Bezugsperson. Sie zeigen auffälliges Kontakt-Vermeidungsverhalten und beschäftigen sich primär mit Spielzeug im Sinne einer Stress-Kompensationsstrategie.
    Verhalten in der Testsituation
    Sie wirken bei der Trennung von der Bezugsperson unbeeindruckt; sie spielen, auffallend oft für sich allein; bei der Wiederkehr der Bezugsperson bemerken sie die kaum oder lehnen sie mittels ignorantem Verhalten ab.
  • Unsicher ambivalente Bindung
    Diese Kinder verhalten sich widersprüchlich- anhänglich an die Bezugsperson.
    Verhalten in der Testsituation
    Sie wirken bei der Trennung massiv verunsichert, weinen, laufen zur Tür, schlagen gegen diese und sind durch die Testerin kaum zu beruhigen. Bei Wiederkehr der Bezugsperson zeigen sie abwechselnd anklammerndes und aggressiv-abweisendes Verhalten und sind nur schwer zu beruhigen.
  • Desorganisierte Bindung
    Die Kinder zeigen deutlich desorientiertes, nicht auf eine Bezugsperson bezogenes Verhalten.
    Verhalten in der Testsituation

    Hauptmerkmal solcher Kinder sind bizarre Verhaltensweisen wie Erstarren, im Kreis drehen, Schaukeln und andere stereotype Bewegungen; daneben treten (seltener) Mischformen der anderen Bindungsmuster wie beispielsweise gleichzeitiges intensives Suchen nach Nähe und deren Ablehnung auf.


Aus den Untersuchungen ergab sich, das sicher-gebundene Kinder im weiteren Verlauf ihres Lebens ein adäquateres Sozialverhalten im Kindergarten und in der Schule, sowie mehr Phantasie und positive Affekte beim freien Spiel, größere und längere Aufmerksamkeit, höheres Selbstwertgefühl und weniger depressive Symptome zeigten. Auch im Erwachsenen-Alter zeigen sich diese Menschen offener und weniger ängstlich für neue Sozialkontakte als die anderen Bindungstypen.

Kinder, die keine verlässlichen Bezugspersonen oder gar multiple Beziehungswechsel von primären Bezugspersonen oder Traumatisierungen erlebt haben, zeigen häufig ein paradoxes Verhalten. Fremden gegenüber zeigen sie sich distanzlos, sehr vertraulich und sind oftmals auch überangepasst, d.h. sie tun alles, um den Erwachsenen zu gefallen. Andererseits testen Kinder, die fremd untergebracht wurden, z.T. sehr massiv und konträr, wie sehr sie die neuen Bezugspersonen lieben.

Etwas anschaulicher gesprochen: Die Kinder bauen jede Menge Mist und testen, ob die Erwachsenen sie dennoch lieben oder gar wieder verlassen werden.

Andere Kinder wiederum können Nähe oder Zuneigung nicht aushalten und auch auf Dauer keine intensiven Bindungen mehr eingehen. Es besteht die Annahme, wenn auch nicht ganz wissenschaftlich belegt, dass jeder Mensch über so genannte genetische Bindungsarme verfügt. Manche Menschen sind mit mehreren dieser „Arme“ ausgestattet, so dass bei einem Bindungsverlust durchaus wieder neue Bindungen geknüpft werden können. Menschen, die nur ganz wenige „Bindungsarme“ besitzen, können sich u.U. bei einem massiven Bindungsverlust nicht mehr an andere Personen binden.


3.1 Physiologische Aspekte

Neben dem genetischen Aspekt kommt aber auch den Botenstoffen (Neurotransmittern) im Gehirn Bedeutung zu. Kinder der Bindungstypen unsicher/desorganisiert befinden sich häufig in einem Stresszustand, dieser bewirkt, dass vermehrt das Hormon Cortisol (wirkt entzündungshemmend) ausgeschüttet wird.
Können die Kinder sich nicht „erholen“ (Stress abbauen), kann sich die vermehrte Ausschüttung dieses Hormon auch schädlich auf das Nervensystem auswirken. Bei nicht sicher gebundenen Kindern wurde festgestellt, dass diese später im Schulalltag häufiger Konzentrationsprobleme haben, unruhiger sind, weitere Verhaltensauffälligkeiten auftauchen können oder später gar eine psychische Störung entwickeln.


4. Ratgeber
Im Buch der Grosse Erziehungsberater von Jan-Uwe Rogge heißt es:
"Kinder haben Probleme mit Vätern und Müttern, die perfekt sein wollen, die jeden Tag den pädagogischen Orden am Bande verliehen haben wollen." Kinder sind sehr geduldige Wesen und sie sind auch bereit vieles, was Erwachsene falsch machen, zu verzeihen. M.E. sollte dies aber kein Frei-Fahrtschein für unreflektiertes Fehlverhalten sein. Kinder bedürfen dem Schutz und Sicherheit der Liebe ihrer Eltern.




Autor des Artikels und inhaltlich verantwortlich:
Katharina Neubacher

Datum des Eintrags: 07.04.11  

Fachbeiträge sind von dem Autor verfasst und unterliegen dem Urheberrecht.


















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